Virtuelle Fotografie in Cyberpunk 2077

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Virtuelle Fotografie

Ich habe im letzten Jahr unter anderem meinen Arbeitsplatz zur Filmentwicklung erweitert, aber ich war auch tag… ähm… stundenlang im Computerspiel Cyberpunk 2077 unterwegs und habe fotografiert. Ja… im Computerspiel virtuell virtuell fotografiert (kein Tippfehler, ok?). Im Folgenden möchte ich meine Erfahrungen teilen.

Cyberpunk 2077 ist ein Open World Role Playing Game, dessen Handlung im Jahr… *Trommelwirbel*… 2077 angesiedelt ist. Open World heißt hier, dass der Spieler sich in der Spielwelt frei bewegen kann. Die Handlung spielt in der Stadt Night City und in ihrer Umgebung, im fiktiven Freistaat Kalifornien. Zwar spielt die Politik eine untergeordnete Rolle, aber es gibt dennoch Machtspiele in der Stadt. Diese wird durch Konzerne ausgeübt, die die Bewohner in Abhängigkeit von Drogen und Kybernetik halten. Weiterhin gibt es viel Armut und im Kontrast dazu auch großen Reichtum. Daher organisieren sich viele Bewohner in Banden und Gangs und versuchen sich so mehr oder weniger legal gegen die Machthaber in der Stadt zu stemmen und weitestgehend autonom zu leben. Als Spieler kann man sich eine von drei Vorgeschichten aussuchen und sein Aussehen relativ detailliert anpassen. Der unveränderliche Name der Hauptfigur ist:

V (ausgesprochen: /viː/).

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Wie viele Computerspielveröffentlichungen heutzutage, kam auch Cyberpunk 2077 nicht ohne seine Skandale im Vorfeld und Enttäuschungen bei der Veröffentlichung aus. Zufall oder Strategie für mehr PR? Das entscheidet ihr selbst.
Für mich ist es schade, dass ein Independent Entwicklerstudio (nein… nicht Filmentwicklerstudio, sondern Softwareentwicklerstudio 🤓), bei der Veröffentlichung so enttäuscht hat. Zusätzlich war das Spiel auf Spielekonsolen, wie der Playstation, so grauenhaft unspielbar, dass Sony kurze Zeit nach Release den Titel sogar aus dem virtuellen Shop genommen hat.
Fakt ist, der Implementierung des Fotomodus für virtuelle Fotografie haben die Skandale nicht geschadet. Oder doch?

V fotografiert man in Cyberpunk 2077?

Genauso wie ich Computerspiele mag, bin ich generell auch großer Cyberpunk Fan. Deswegen lasse ich die popkulturellen Tropes des Cyberpunk gerne in meine Bilder einfließen. Zum Beispiel in meiner Streetphotography Serie Into the Night aber auch in meine Portraitfotos von Perturbator.

Ich habe mich also (tapfer und dumm? 😅) durch die schwerwiegenden Bugs im Spiel buchstäblich durchgekämpft und ziemlich viel Zeit in Night City verbracht. Die Hauptstory ist zwar sehr fesselnd, aber mit der Szenerie haben die Entwickler mehr als ein visuell stützendes Beiwerk geschaffen. Schnell wurde ich auf den internen Fotomodus aufmerksam, so dass ich meine Spielzeit hauptsächlich dort verbringe. Immer auf der Suche nach interessanten Locations und dem Versuch um die Unzulänglichkeiten des Fotomodus herum zu arbeiten, um ansehnliche virtuelle Fotografien zu produzieren.
Übrigens aktiviert ihr auf dem PC den Fotomodus durch drücken der Taste “N”. Die aufgenommenen Fotos findet ihr dann unter Dieser PC -> Bilder -> Cyberpunk 2077.

Falls ihr soweit gelesen habt, empfehle ich euch an dieser Stelle während des Lesens diesen Song von Makeup & Vanity Set auf spotify anzuschmeißen, um in Cyberpunk Stimmung zu kommen.

Kann das wahr sein!

Virtuelle Fotografie ist für einige Fotograf*innen in Zeiten der Pandemie eine Option als ernstzunehmende Einnahmequelle geworden. Hier ist die Idee, beispielsweise über Crowdcast Tickets für ein Onlineevent zu verkaufen und dann die interessierten Personen vom Bildschirm abzufotografieren, und diese Bilder dann kreativ zu bearbeiten und zu übergeben. Wer mehr über dieses spezielle Vorhaben erfahren möchte, kann hier auf PetaPixel einen englischen Artikel darüber lesen.

Da virtuelle Fotografie offenbar die mittelbare Fotografie echter Personen ist, ist das was ich in Cyberpunk 2077 gemacht habe also virtuelle virtuelle Fotografie. 🤔 Mehr dazu später.

Übrigens: wer mit der Computerspielfotografie nicht so viel anfangen kann, aber dennoch daran interessiert ist, zu erfahren, was Fotografen außer Selbstportraits während einer Pandemie so machen, dem lege ich die beeindruckenden Aufnahmen der Fashionfotografin Elizaveta Porodina sehr ans Herz. Elizaveta hat beispielsweise für die Vogue unglaublich faszinierende Fotos von Baletttänzerinnen via Zoom (!) gemacht.

Schaut dazu mal unbedingt hier bei Vogue die Bilder an.

Erster? Denkste!

Selbstverständlich war ich nicht der erste virtuelle (virtuelle) Fotograf in Cyberpunk 2077. Und viele schaffen es, zu erstaunlichen Ergebnissen zu kommen . Siehe zum Beispiel Petri Levälahti auf twitter und auf seiner Homepage.

Teilweise spielen diese Spieler auf hohen, für mich nicht praktikablen Auflösungen und bearbeiten die Fotos später noch mit Photoshop.
Leider musste ich feststellen, dass, obwohl der Entwickler des Spiels (CD Projekt Red) einen sinnvollen Fotomodus in das Spiel The Witcher 3: Wild Hunt integriert hat, der Fotomodus in Cyberpunk 2077 in Bezug auf die Bildauflösung arg zu wünschen übrig lässt. Zwar ist eine hohe Auflösung auf den ersten Blick in The Witcher sinnvoller als in Cyberpunk 2077, da das Spiel in Bezug auf Atmosphäre, Wetter und Landschaft ästhetisch sehr viel zu bieten hat. Aber beeindruckendes Wetter gibt es auch in Cyberpunk 2077 und die Architektur ist allemal für virtuelle Fotografie geeignet. Leider ist in Cyberpunk 2077 die Bildschirmauflösung gleich der Fotoauflösung. So dass nur Spieler, die in der Realität 4K Monitore benutzen auch Bilder in der entsprechenden Auflösung machen können. Sad.

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Virtuelle Fotografie in Night City - Untitled Film Stills

Also habe ich beschlossen, aus der Schwäche eine Stärke zu machen, indem ich mich komplett auf die spielinternen Möglichkeiten beschränkt und keine externe Bildbearbeitung gemacht habe. Fokussierung auf das Wesentliche, you know? Nur für die Reduktion der Dateigröße, und die Ergänzung der EXIF Daten, habe ich Photoshop benutzt.

Fotografisch habe ich mich auf zwei Dinge konzentiert:

Einerseits habe ich versucht im Geiste Cindy Sherman’s „Untitled Film Stills“ zu machen. Sprich Filmstills, also Standbilder von Szenen aus Filmen, die es gar nicht gibt. Insert: Cindy-Sherman-Vergleich-Empörung. 😝
Keine Sorge! Selbstverständlich maße ich mir nicht an, in irgendeiner Form auf Cindy Sherman’s Level zu fotografieren. Beispielsweise fehlen bei meinen virtuellen Fotos unter anderem die Sherman typischen Bedeutungsebenen. Und anstatt mich selbst zu portraitieren, sieht man auf meinen Untitled Film Stills meist den von mir erstellten Spielecharakter V oder auch Spielecharaktere die nicht von mir gesteuert werden. Hilfreich sind hier die integrierten Tools, um das Foto „filmischer“ wirken zu lassen. Dabei habe ich versucht auf Seitenverhältnis, Korn, Brennweite, „Tiefenkomprimierung“ und Grading zu achten.

Edit: Soeben habe ich dieses vielversprechende Camera Tool von Frans Bouma gefunden. Falls es hält, was es verspricht, berichte ich von meinen Erfahrungen damit in einem anderen Blogbeitrag zu virtueller Fotografie.
Zusatz: mittlerweile muss man für das Tool 5$ bezahlen und falls das Spiel ein Update bekommt, dann muss man natürlich für das Update des Foto tools erneut 5$ zahlen. Entscheidet selbst, ob dies etwas für euch ist.

 

Is that me or just a figment of my imagination?

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Andererseits habe ich mich bei meinen virtuellen virtuellen Erkundungstouren darauf konzentriert, Portraits oder “Environmental Portraits” zu fotografieren.

Anmerkung: jetzt wird es Zeit den Wahnsinn zu beenden… Virtuelle virtuelle Fotografie ist einfach ein so nicht akzeptabler Begriff. Ob die Personen, die man fotografiert nun tatsächliche Personen sind oder auf Polygonen und Texturen basierende Fantasiefiguren, muss egal sein. Ich erlaube mir einfach folgendes zu definieren: virtuell wird fotografiert, wenn das Motiv nicht anwesend ist. Sobald man als Fotograf*in also virtuelle Umgebungen und Personen fotografiert, oder in virtuellen Umgebungen fotografiert, ist der Unterschied für mich nur noch qualitativ relevant. In beiden Fällen werden Fotografien erzeugt, deren Basis entweder ein digitales Abbild einer fiktiven Person, oder digitales Abbild einer tatsächlichen Person ist. In einem Fall wird eine echte Kamera verwendet, um ein künstliches Bild zu fotografieren. Im Gegensatz dazu wird im anderen Fall eine virtuelle Kamera benutzt.
Klar kann dies nur eine vorläufige Definition sein, aber eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Definition von virtueller Fotografie ist Thema für einen weiteren Blogbeitrag. Wie seht ihr das? Die Kommentare unten sind offen.

Zurück zu meiner virtuellen virtuellen Fotografie in Cyberpunk 2077.

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Gestaltungsmöglichkeiten in der virtuellen Fotografie

Einige der Portraits, die ich in Cyberpunk 2077 gemacht habe, sind sehr nah dran am filmischen, da dort Personen in Bezug zur Umgebung gesetzt werden. So wie im Film eine Szene durch Kontext von Hauptmotiv und Umgebung an Bedeutungstiefe gewinnt, versuche ich dies in meiner virtuellen Fotografie umzusetzen. Also konzentrieren sich die Fotos nicht ausschließlich auf die Abbildung des Kopfs/des Gesichts. Beispielsweise wird die Person im Kontext ihrer virtuellen Arbeitsumgebung oder ihrer räumlichen Position in der Handlung gezeigt. Ebenso werden Orte, die relevant sind für die Geschichte die in der Fotografie erzählt werden soll, mit abgebildet. Im Grunde genommen gibt es hier große Schnittmengen zwischen abgebildeter Computerspielszene, Filmszene und (virtueller 😤) konzeptueller Portraitfotografie.

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Zum Posing der Figuren hat man im Großen und Ganzen nur die Möglichkeit zu warten, bis sich die Spielfiguren in interessante Posen zeigen. Zwar kann man, nachdem man den Fotomodus aktiviert hat, die eigene Spielfigur in einige vorgegebene Posen hinstellen. Aber auch nur die eigene Spielfigur. Weiterhin hat man auch die Möglichkeit die Kamera relativ frei zu bewegen (oder aus der Egoperspektive zu fotografieren). Aber die Möglichkeiten sind arg begrenzt. Diese Einschränkung hat aber auch ihren Reiz. Man muss meist mit dem arbeiten, was das Spiel im Rahmen der Situation vorgibt. Ähnlich wie bei “echter” Fotografie.

Zwar hat der Softwareentwickler daran gedacht, eine Blendenfunktion zu integrieren. Außerdem kann man auch die Brennweite der virtuellen Kamera einstellen. Jedoch sind die Einstellmöglichkeiten, zumindest in den Extremwerten, nicht brauchbar. Und entsprechen dann auch nicht mehr den Kameraeinstellungen einer realen Kamera. Weiterhin fehlt leider die Möglichkeit, die Verschlusszeit einzustellen, so dass Bewegungsunschärfe nicht zu realisieren ist. Dafür gibt es einige Vorgaben im Hinblick auf den Bildausschnitt und einige “Filter”, die die Fotograf*in für ihre virtuelle Fotografie nutzen kann.

Das gestalterische Element, das mir persönlich am meisten gefehlt hat, war das Licht. Und zwar nicht das Umgebungslicht, sondern das Licht mit dem man eine Person bei der Fotografie direkt ausleuchtet. Obwohl man das natürliche Umgebungslicht nutzen kann (und auch sollte), fehlt mir sehr oft die Option die Charaktere sinnvoll auszuleuchten. Zwar kann man kreativ werden und beispielsweise das Mündungsfeuer von Waffen, die man dem Spielercharakter anlegen kann, als Lichtquelle im off-screen benutzen. Dies ist aber sehr umständlich und führt selten zum Ziel.

Nicht zuletzt sind diese virtuellen Aufnahmen für mich aber eine Möglichkeit Portraitfotografie zu üben. Hierdurch kann ich in der virtuellen Fotografie Ideen für Portraitfotos entwickeln, und mich für echte Fotoshootings inspirieren lassen.

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Tech Neo Noir

Am Ende muss ich für mich feststellen, dass das virtuelle Fotografieren in Cyberpunk 2077 mich sehr an meine Filmfotografie erinnert. Ich muss mir tatsächlich Zeit für die Aufnahmen nehmen. Zeit nehmen, um Kamera und Licht (mit den genannten Einschränkungen) einzustellen und Geduld haben, denn auch im Spiel läuft die Zeit ab und man muss auf die richtigen Momente warten. Gesichtsausdrücke sind flüchtig und Momente kaum reproduzierbar. Manchmal kam mir die Arbeit an den spielinternen Parametern für die Fotos so clunky und beschränkt vor wie Analogfotografie in der Realität machmal angenehmerweise sein kann. Eine wirklich sehr willkommene Entschleunigung an einem unerwarteten Ort.

 

Meine fotografische Arbeit in Cyberpunk 2077 ist noch lange nicht vorbei, denn hundertprozentig zufrieden bin ich mit meinen Ergebnissen noch lange nicht. Aber wann ist man das schon?

Obwohl diese „virtuelle“ Art von Fotografie noch ziemlich rudimentär ist, bin ich trotzdem beeindruckt, zu welchen Ergebnissen man kommen und wieviel Spaß man auf dem Weg dahin haben kann.

PS: “Keanu Reeves fotografieren” kann ich jetzt jedenfalls von meiner Bucket List streichen.

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