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Reduktion in der Kunst

Manchmal muss man Altes nochmal angehen. Kennt ihr sicherlich, oder?

Ich zum Beispiel war nie rundum zufrieden mit meiner poetischen Story Willow und konnte bis vor kurzem nicht verstehen warum. Die Sätze wirkten irgendwie falsch, die Zeichensetzung und die Übersetzung funktionierten für mich überhaupt nicht.

Anfangs habe ich es akzeptiert, da mir die Sperrigkeit auch gefiel, aber es hat mir ehrlich gesagt keine Ruhe gelassen. 😅
Auch auf meinem instagram war diese Serie lange Zeit ein Roadblock für mich, und ich habe dort, bis auf die Zäsur der Black Life Matters Bewegung in den USA, in den letzten Monaten nichts mehr mit euch teilen können. ):

Nachdem ich nun aber einige Videos über Leonard Bernsteins Vortrag zu The Unanswered Question angeschaut habe*, fiel so langsam der Groschen. Aber eigentlich ist er nur _erneut_ gefallen…

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Simplex

Es ist so leicht zu vergessen, das in der Reduktion oft die wahre Kunst liegt. Die Schwierigkeit mit der alle Künstler ein Leben lang struggeln. Zumindest glaube ich dies. Einigen Künstlern wird es leichter fallen, anderen schwerer. Wahrscheinlich ist es auch eine Frage des Selbstbildes. Glaubt man, das was man macht hat Ausdruck und Kraft, wenn man es auf sein Skelett, die Essenz, das Wesentliche reduziert?

Oder muss man ausdrapieren mit Aufwand, Schmuck, Dekoration… lenkt man hiermit nicht eigentlich vom Kern der Sache ab?
Oft ist der Schmuck dennoch essentiell im Kunstwerk. Wenn er stützt und nicht zum Selbstzweck wird.
In Willow aber, gab es zuviele Wörter die von den eigentlichen Worten abgelenkt haben.
Selbstverständlich finde ich es hin und wieder auch angenehm, mich von Kunst einbetten zu lassen in Vorgabe, Staffage und Ornament (siehe mein Song weiter unten).

Ich denke, viele Menschen fürchten die Reduktion, da diese die eigentliche Idee einer Sache enthüllen kann. Und zurück bleiben eventuell nur ein paar Farben, eine simple Melodie, eine karge Komposition. Was wenn diese zurückbleibende Idee für andere hässlich und abstoßend ist? Aber Simplizität ist nicht zwingend gleichbedeutend mit reiner Leere oder Langeweile. Es wirft uns vielmehr auf uns selbst zurück und startet ein Feuerwerk an Assoziation und Fragen beim Betrachter. Dies ist, nebenbei bemerkt, auch der Grund warum der Film Alien von Ridley Scott so gut funktioniert. Er zeigt wenig und lässt dem Betrachter radikal viel Freiraum, um diesen mittels der eigenen Fantasie zu füllen.

Und der schlimmste Horror entsteht letztlich immer noch bei uns im Kopf.

Freiräumen

Auch in der künstlerischen Arbeit abseits von Komposition im musikalischen Sinn, ist es wichtig Dinge wegzulassen die irrelevant sind, um zum Kern des Werks vorzudringen. Es ist wie der italienische Bildhauer Michelangelo sagte:

The sculpture is already complete within the marble block, before I start my work. It is already there, I just have to chisel away the superfluous material.

Daher habe ich mich entschlossen Willow komplett zu überarbeiten. Indem ich die einzelnen Strophen auf das Wesentliche reduziert habe, habe ich eine viel offenere Aussage erreicht, die auch noch genügend Platz für die Fotos lässt. Die deutsche Übersetzung habe ich komplett herausgenommen.

Jetzt habe ich endlich damit abschließen können und ich hoffe Dir gefällt es auch. Hier kannst Du es Dir anschauen.

Sicherlich gibt es drölftausend gute Beispiele, aber schaut euch zum Beispiel mal diese japanische Illustration aus dem 17-18 Jahrhundert an. Wieviele Details braucht das Kunstwerk, um das Motiv zu erfassen und die Aussage zu transportieren?

Fußnote

 Ich habe mir den Vortrag von Leonard Bernstein übrigens angeschaut, weil farnflim momentan bei unserer lokalen Musikschule Plug&Play Gesangsunterricht bei Alex hat und die beiden dort an dem Lied Girl from Ipanema von Antônio Carlos Jobim arbeiten. In Carlos Jobims Version arbeitet beispielsweise der brasilianische Gitarrist João Gilberto mit reduzierten Gitarrenakkorden, die den Grundton weglassen (oder er spielt an manchen Stellen in Live Aufführungen gar nichts 😅), und erzeugen so eine sehr ambivalente Stimmung, die der ganzen Aussage des Liedes (ein “leichtes” Lied darüber wie einer am Strand schönen Frauen hinterherguckt) einen wirklich darken Kontrapunkt gibt.  

 

Ich kann nur jedem empfehlen Adam Neelys Video über The Girl from Ipanema anzuschauen. Dort gibt es einige überraschende Dinge, auch, und nicht zuletzt, in Bezug auf die soziokulturellen Aspekte von Blues und Bossa Nova.

Die Reduktion in gitarrenspieltechnischer Hinsicht habe ich mit meiner Band modulator auch immer gerne genutzt. Nur habe ich dort vor allem die Terzen weggelassen, also sus Akkorde ohne Dur oder Moll gespielt. Dur und Moll Aspekte kamen dann von den anderen Instrumenten oder den Vocals. Wer möchte kann da unten einen Song von uns anhören. Übrigens ist dieser Song 1 Node Analogue Traveller ein super Beispiel dafür, wie Ornamente kombiniert mit Ambivalenz auch funktionieren können. Hier entspricht die Fülle an Motiven und Sounds der Neugier und dem Forschergeist beim Komponieren und man entdeckt bei jedem Anhören neue Dinge. Selbst mir als Komponist des Liedes geht es so. 😳

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